Achtsamkeit

„Nachgespürt“ – Gedanken zum Yogaunterricht von Susanne

Achtsamkeitsschulung der Weg in die Ego-Gesellschaft?

Neulich las ich die erfrischende Stern-Kolumne von Meike Winnemuth, in der sie eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft anprangert und Schuld daran wäre u.a. der neue Achtsamkeitswahn, der als höchstes Ziel die Konzentration auf die eigene Befindlichkeit hat.

Recht hat sie, überall werden Seminare angeboten, die Achtsamkeit als das Mittel der Wahl gegen Zivilisationsstress, erhöhte Arbeitsbelastung und Medienwahn preisen. Ich als Yogalehrerin und Seminarleiterin bin Teil dieser Bewegung, stehe ihr jedoch auch kritisch gegenüber. Es ist durchaus sinnvoll zu hinterfragen, ob die neue Beschäftigung mit dem eigenen Atem, Körper und Geist uns weg vom Gegenüber führt und ob wir (Zitat M.W.) „wirklich gewappneter für diese schmuddelige Welt sind, wenn das Hirn wie ein frisch gemangeltes weißes Laken in der sanften Brise ewiger Glückseligkeit flattert?“

Ja, liebe Frau Winnemuth, ich denke schon, dass wir das sind. Denn ihre Ausführungen sind zu kurz gedacht. Natürlich beschäftigen wir uns im Yoga, in der Meditation, im Bodyscan ausführlich und ausschließlich mit uns selbst. Aber zu welchem Zweck? Doch nur, um den Herausforderungen des Alltags besser gewappnet begegnen zu können.

Welche Mutter kann sich liebevoller um ihren Nachwuchs kümmern? Diejenige, die ständig über ihre Grenzen geht, die niemals Nein sagt, weil sie gar nicht mehr mitbekommt, wann sie am Limit ist? Oder diejenige, die aufgrund von Achtsamkeitsschulung wieder neu gelernt hat, wann ihr Atemmuster, ihre Verspannungen, die zunehmenden Rückenschmerzen eindeutige Signale senden, auf die sie nun mit den erlernten Methoden reagieren kann?

Welcher Manager ist der bessere Chef? Derjenige, der sich so weit von sich selbst und der Natur entfernt hat, dass er nur noch für die Arbeit lebt oder derjenige, der in seinem letzten Seminar erfahren hat, worum es im Leben eigentlich geht und wie er sein Stressniveau dauerhaft senken kann?

Achtsamkeitsschulung leistet einen großen und notwendigen Beitrag, den Problemen unserer Gesellschaft zu begegnen. Aber sie darf wie jede gute Therapie nicht als alleinige Waffe gegen zunehmende Arbeitsbelastung und Entfremdung von der eigenen Natur gesehen werden. Hier, liebe Firmenchefs, flankiert das Ganze doch mit weiteren Maßnahmen. Stellt euch gegen weiteren Personalabbau, schafft Großraumbüros ab, sorgt für die Einhaltung von Pause …

Dann fruchten auch die Gesundheitsprogramme, die ihr euren Mitarbeitern aufs Auge drückt. Aber dazu besucht am besten ein Achtsamkeitsseminar, dann lernt ihr selbst, worauf es ankommt.